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Die (un)endliche Suche nach dem richtigen Laufschuh

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In meiner Artikelreihe werden neben medikamentöser Schmerztherapie bei Beschwerden am Bewegungsapparat die diagnostischen Möglichkeiten und umfassende Therapiekonzepte vorgestellt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf einem naturwissenschaftlichen, funktionellen Ansatz.

Diesen Beitrag widme ich einem Thema, das viele Läufer sehr beschäftigt – so auch mich selbst: Der richtige Laufschuh.
Folgende Fragen – als wäre eine davon nicht schon schwer genug zu beantworten - sind dabei aufgetaucht:

  • Pronationsstütze ja oder nein? Viel oder wenig Dämpfung?
  • Wieviele Laufschuhe und welche Typen?
  • Wie lange hält mein Laufschuh?
  • Wer kann mich seriös beraten?

Angefangen zu laufen habe ohne jegliches Vorwissen und mit wahrscheinlich (wachstumsbedingt) sehr instabilen Füßen. Daraufhin bekam ich gleich einmal ein sehr schweres, stark pronationsgestütztes Modell verpasst. Über die Jahre habe ich mich dann durch bessere Fußstabilität sozusagen zum Neutral(schuh)läufer „hingearbeitet“.
Das entspricht auch ungefähr der Philosophie, welche die Laufschuhindustrie in dieser Zeit durchgemacht hat. Musste vor einigen Jahren noch jede natürliche Pronationsbewegung (=Dämpfungsmechanismus des Fußes) durch eine starke Pronationsstütze „korrigiert“ werden, so gilt derzeit „Barfußschuh für alle“ als Vermarktungsstrategie. Doch was für mich zeitlich zufällig ganz gut gepasst hat, ist bestimmt keine allgemeine Garantie für Beschwerdefreiheit. Jegliche Laufschuhtrends haben nämlich zu keiner Reduktion der typischen Läuferbeschwerden geführt
[2]. Daraus schließe ich auch, dass die Funktion des Fußes, sein Abrollverhalten, so individuell wie gleichzeitig unmöglich im Rahmen eines Verkaufsgespräch zu befunden ist und sich maßgeblich auf die richtige Schuhwahl auswirkt.

Viele Laufgeschäfte buhlen um ihre Kunden, indem sie sich einen (scheinbaren) Kompetenzvorsprung nachsagen. Mittels unterschiedlicher Analyseverfahren soll der Idealschuh gefunden werden.
Dabei gibt es jedoch einige Stolpersteine. So ist schon der Laufschuhdschungel für einen eher unerfahrenen Verkäufer nicht zu überblicken – immerhin wird auch seitens der Hersteller ziemlich schwarz-weiß gemalt, indem sie ihre Laufschuhe in „gestützt“ und „neutral“ einteilen – ungeachtet dessen, dass es unzählige Einflussfaktoren auf das mechanische Verhalten des Schuhs gibt, welche weit über das Vorhandensein einer simplen
Pronationsstütze hinausgehen.
Diese Einteilung führt zu einem zweiten Problem in der Beratung: Der Videoanalyse. Hier wird in der Regel für die Anpassung des Schuhs genau ein Parameter verwendet, nämlich der Pronationswinkel. Wie weit die Ferse mit dem entsprechenden Schuh nach innen kippt entscheidet nicht selten über die Schuhwahl. Dabei gibt es viele Parameter des Abrollverhaltens, welche optisch gar nicht erkennbar sind, manche sehrwohl an der Abnutzung alter Schuhe (welche aber unter Umständen andere biomechanische Eigenschaften als das neue Modell aufweisen). Diesen sollte auf alle Fälle genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet werden, wie der Fersenbewegung.
Laufbandanalysen haben darüber hinaus auch das Problem, dass viele Läufer das Laufen auf solch einem Gerät gar nicht gewohnt sind und weder unterschiedlicher Untergrund noch Ermüdungsfaktoren simulierbar sind [1].
Deshalb bin ich der Ansicht, dass die Laufanalyse eine eigene Dienstleistung mit Möglichkeiten zur Technikkorrektur in entsprechender Laufumgebung sein sollte.



Links „Neutralschuh“ ohne Pronationsstütze.
Rechts ein „Stabilschuh“ mit fester Pronationsstütze.

Billigere und leichtere Laufschuhtypen werden oft gar nicht verkauft, wenn man nicht explizit danach fragt, auch wenn man aufgrund gesunder Fußfunktion, läuferischer Erfahrung oder auch geringer Laufumfänge gar keinen Stabilschuh benötigt. Dieses höhere Preissegment wird inzwischen aber mit Erfolg von den sogenannten Barfußlaufschuhen bedient.

Wichtig ist vor allem das Wechseln der Schuhe über die (Lauf)Woche – leichte und flexible Schuhe für schnellere oder technikorientierte Einheiten. Läuft man immer eher locker, dann  verwendet man diese Schuhe für die kürzesten Laufeinheiten, und etwas stabilere Trainingsschuhe für ruhige und lange Läufe. Das verlängert auch die Lebensdauer der Schuhe, denn alte Paare mit kaum Dämpfungswirkung werden dann zum Schuh für kurze Einheiten oder auf weichem Waldboden „herabgestuft“ und können ihre Dienste noch einige Zeit erweisen. So besitze ich manche Paare viele Jahre, auch weit über 1000km hinaus.
Warnen möchte ich auch vor dem Nachbestellen eines Schuhs im Internet, wenn es nicht genau das bereits bekannte Modell in derselben Größe ist. Schuhhersteller verändern mit der nächsten Ausgabe  ein und desselben Modells oft Schnitt und/oder Materialeigenschaften – ein guter Laufschuhverkäufer weiß dies, vom Bildschirm aus kann man das leider nicht beurteilen.
Deshalb sollte man den Laufschuhverkäufer des Vertrauens (Quellen gerne auf Nachfrage) nicht nach dem Equipment in der Analyse, sondern nach Kompetenz und Erfahrung aussuchen.

[1] Cong, Y. et al: Effect of heel height on in-shoe localized triaxial stresses. In: Journal of Biomechanics, 2011
[2] Walther, M.: Aktuelle Trends im Sportschuhbau. In: Fuß & Sprunggelenk, 2004


Sandrina Illes, MSc, Expertin für Biomechanik, Studienabschluss am Technikum Wien, derzeit Doktorandin an der TU Chemnitz. Privat kommt sie aus dem Leistungssport Duathlon und Triathlon.
Selbstständig mit orthopädischer Diagnostik www.orthomed-ganganalyse.at
Fragen? Kontakt illes@orthomed-ganganalyse.at

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